Underdogs

Dass die Plasmasäulen nicht mehr da waren, half nicht, die aufgeregten Bewohner Tenggara Havens zu beruhigen. Auf den Straßen herrschte weiterhin heilloses Durcheinander, und Carter fühlte sich an Mumbai erinnert. Vor etwa vier Jahren war er dort gewesen, um die Machtübernahme einer militanten Organisation nach einem schrecklichen Erdbeben zu verhindern. Damals waren die ›Rascals‹ nur knapp mit dem Leben davongekommen, doch im Nachhinein galt dieser Einsatz als einer der wichtigsten in der jüngeren Geschichte Indiens, denn Carter und seine Leute hatten die Abspaltung einer ganzen Region abgewehrt.

Dieser Gedanke zog vor seinem geistigen Auge vorüber, während Ashok seinen gelben Maruti in die Straßenschlucht sinken ließ. Ruhm und Ehre galten nichts, dachte Carter. Wie sonst konnte man erklären, dass er selbst so schnell in Ungnade gefallen war? Was würde er darum geben, wieder Teil ›seiner‹ Einheit zu sein? Konnte er das überhaupt?

»Ist sie das?«, fragte Ashok.

Carter vertrieb seine düsteren Gedanken und sah nach unten. Am Rand der Kuang Road, etwa zehn Meter unter dem Fahrzeug sah er ein Hoverbike mit einem grellen orangenen Totenkopf auf dem Batteriefach. Daneben stand Olivia. Breitbeinig und mit verschränkten Armen blickte sie grimmig in die Gegend, als verteidigte sie mit Verbissenheit die zwei Quadratmeter Boden, auf denen sie stand. Um sie herum tobte das Chaos aus aufgebrachten Menschen, überforderten Polizisten, stockendem Verkehr und panischen Händlern.

»Wird nicht leicht, den Wagen abzusetzen«, rief Ashok. »Nehmt‘s mir nicht krumm, wenn ich jemanden zerquetschte.«

Carter und Joseph blickten sich verwundert an.

»Ich meine nur, ihr seid doch Polizisten«, fügte der Wachmann hinzu.

Der Maruti war noch nicht gelandet, da öffnete Carter bereits die Flügeltür. Olivia hatte das Fahrzeug längst bemerkt und erst, als sie Carter entdeckte, schwand ihr kritischer Blick.

»Lass dein Bike hier«, rief Carter hinunter.

Olivia sah verstimmt zu ihm auf. »Auch schön, dich zu sehen!«

Ashok landete nur kurz. Unmittelbar, nachdem Olivia auf den Beifahrersitz geklettert war, hob er wieder ab und verließ das Stadtzentrum in östliche Richtung. Kurz bevor die dichte Bebauung in üppigen Urwald überging, landete Ashok in einer abgelegenen Sackgasse auf einem Stellplatz für Abfallcontainer. Sie stiegen aus und musterten sich still.

»Na schön, Carter«, sagte Olivia schließlich. »Was zum Teufel haben wir hier zu suchen und warum muss ich mein teures Hoverbike der wildgewordenen Meute überlassen? Hast du nicht gesehen, diese seltsamen Erscheinungen sind weg.«

»Wir haben ein anderes Problem, ein größeres.«

Ashok nickte zustimmend und Olivia warf ihm einen ablehnenden Blick zu.

»Was macht der hier eigentlich?«

»Ashok hat uns Informationen gegeben«, sagte Carter. »Die Rebellen wollen ein großes Portal im Erdorbit öffnen, um eine feindliche Raumschiffflotte durchzulassen.«

Olivia verschränkte die Arme, dabei wippte ihr Pferdeschwanz so launisch, wie ihre momentane Stimmung sein musste.

»Bist du schon mal auf die Idee gekommen, dass der Typ dich anlügen könnte?«

»Bin ich«, gab Carter zu. »Aber weißt du, ich bin heute schon zweimal fast umgebracht worden. Einmal, als ich in die Wache wollte, um Waffen zu besorgen. Ich verdanke es Joseph, dass ich noch am Leben bin.«

Olivia blickte mürrisch zur Seite, wo der Polizist an einen der Müllcontainer lehnte und sein Gewehr erschreckend einfühlsam in seinen Händen hielt.

»Und dann einmal in einem einstürzenden Gebäude, aus dem ich Ashok gerettet habe, weil diese dunklen Kämpfer des Penjagas ihn eliminieren wollten. Glaub mir, Ashok ist auf unserer Seite.«

Olivia seufzte und löste ihre Arme.

»Na schön, und du willst was?«, fragte sie.

»Die Rebellen davon abhalten, dass sie das Portal im Erdorbit öffnen.«

Olivia entwich ein fahriges Kichern.

»Sorry, Carter. Aber das klingt ganz schön albern. Du hast keine Ahnung davon, wie mächtig die Rebellen sind.«

»Ich brauche jede Hilfe, die ich kriegen kann. Du glaubst gar nicht, wie ignorant die Polizei von Tenggara ist.«

Olivia senkte den Kopf und blickte abwechselnd zu Carter und Joseph. Carter wusste sofort, was sie damit meinte, doch ihm fehlten die passenden Argumente, um sie zu entwaffnen. Ashok rettete ihn.

»Die Sache ist so, Miss …«

»Nenn mich Olivia. Wir sind hier nicht so förmlich.«

»Die Sache ist die, Olivia. Ich weiß nicht, warum die diese Plasmasäulen verschwunden sind. Möglicherweise haben Tian Fens Physiker die Nebeneffekte der Portalöffnung doch noch in Griff bekommen. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass heute ein Transporter mit einem Aktivator ins All starten wird.«

»Was ist ein Aktivator?«, fragte Carter.

Ashok wischte mit den Spitzen seiner Schuhe nervös über den Asphalt, dabei starrte er gedankenverloren zu Boden.

»So, wie ich das verstanden habe, braucht jedes Portal einen Aktivator. Bei dem unter der Stadt ist dieses Gerät wohl in der Anlage selbst verbaut, aber für dieses Himmelsportal braucht man offenbar einen mobilen Aktivator, genauso, wie man eine Menge Energieumwandler benötigt. Eine Wissenschaftlerin, die ich ausgefragt habe, erklärte, diese Umwandler sind für die Stabilisierung der gravitatorischen Energiepunkte notwendig. Ohne so etwas funktioniert ein Planetenportal nicht. Wie auch immer, wenn wir die Rebellen davon abhalten wollen, eine außerirdische Streitmacht zur Erde zu lassen, müssen wir handeln. Jetzt!«

Carter fand, dass Olivia immer noch nicht überzeugt schien. Möglicherweise klang das, was Ashok vorgetragen hatte, einfach zu verrückt.

»Alles deutet darauf hin«, sagte Carter, »dass die ganze Rebellion von dieser außerirdischen Spezies gesteuert wird, die vor 50 Jahren auf einem der Exoplaneten entdeckt worden ist. Erinnerst du dich daran, was uns Budis Mutter erzählt hat?«

»Aber warum?«, fragte Olivia. »Das verstehe ich nicht. Warum wollen sie nach all den Jahren zur Erde?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Carter. »Aber alles, was ich weiß, ist, wenn wir sie nicht aufhalten, wird die ganze Sache übel ausgehen.«

»Carter, ich kann unmöglich bei so einem Himmelfahrtskommando mitmachen. Ich bin nicht dafür geeignet!«

Er trat dicht an Olivia heran. Zuerst wollte sie zurückweichen, doch sie blieb und blickte zu ihm auf. Carter spürte eine seltsame Vertrautheit, als sei ihre Vergangenheit auch die seine.

Er sagte leise: »Wenn du es nicht für mich tust, Olivia, dann tu es für deine Eltern. Tu es für eine bessere Welt.«

Olivia hielt seinem Blick nicht stand. Sie nahm den Kopf nach unten und sah zur Seite, wo sich der Dschungel den Bergrücken hinaufzog. Carter erkannte, dass sie mit sich rang.

Dann sagte sie: »Okay. Ich bin dabei.«

»Danke«, flüsterte Carter.

Er trat einen Schritt zurück und blickte zu Ashok. Dieser sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Was?«, fragte er. »Glaub ja nicht, dass ich kneife. Ich bin raus bei den Rebellen. Die wollten mich umbringen und dafür werden sie bezahlen!«

»Das höre ich gern«, erwiderte Carter. »Und du, Joseph?«

Der Polizist knurrte. »Was soll ich sagen? Eine bessere Chance auf ordentlich Trubel werde ich wohl in absehbarer Zeit kaum bekommen. Zähl auf mich, Reed!«

Carter erkannte plötzlich, dass er ein Team hatte. Zwar waren Olivia, Joseph und Ashok alles andere als brillant ausgebildete Kämpfer einer Spezialeinheit, doch jeder von ihnen trug das Wichtigste in sich, um gegen das Unrecht in den Kampf zu ziehen: Ein großes Herz.

Und Carter hatte eine Mission, wenn nicht sogar die wichtigste, die er je hatte. Schließlich schien es, um nicht weniger zu gehen, als um die Rettung der Welt!

Durch die grelle Mittagssonne steuerte Ashok den gelben Maruti auf den Tenggara Civil Airport zu. Carter tröstete der Umstand, dass sie vermutlich niemand auf den Zustand des Wagens ansprechen würde, denn durch das Chaos in der Stadt, welches durch das Planetenportal ausgelöst worden war, hatten viele Fahrzeuge und Gleiter Dellen und Schrammen davongetragen.

Die Luftstraße führte über das tiefblaue Meer hinweg bis zu der künstlich angelegten Insel, auf der das ausgedehnte Flughafengelände lag. Ashok passierte die zum Abflugterminal führende Hauptstraße, und Carter sah, wie der moderne Komplex mit seiner glitzernden Fassade an ihnen vorüberzog.

»Tian Fens Schiff liegt in der Charter Area«, verkündete Ashok, als hätte er Carters Irritation bemerkt. »Wenn ich den Transporter sehe, kann ich sagen, ob es Fens ist.«

»Du bildest dir ganz schön was ein, Junge«, sagte Carter. »Weißt du, wie groß die Charter Area ist?«

»Na klar«, zwinkerte der Wachmann ihm zu. »Aber wie viele Leute kennst du, die in dieser Stadt einen Hover-Truck zum Überführen von radioaktiven Stoffen fahren?«

Carter bemerkte, wie er Ashok verwundert ansah.

»Fen geht lieber auf Nummer sicher«, erklärte der Wachmann. »Der Aktivator kommt von der anderen Seite des Portals und er wollte nicht das Risiko eingehen, dass man irgendeine unbekannte Strahlung bei dem Ding detektiert.«

»Verstehe. Na, dann auf zur Charter Area, du Genie.«

Olivia, die auf der Rückbank saß, beugte sich vor. Carter spürte, wie einige ihrer Haare sein Gesicht kitzelten.

»Ich wollte dich daran erinnern, dass unsere Abmachung immer noch gilt. Ich mache bei dieser schwachsinnigen Aktion nur mit, damit du die Einträge in meiner Akte löschen lässt.«

»Habe ich nicht vergessen«, erwiderte Carter schmunzelnd.

Sie erwiderte nichts darauf. Ihre stechend blauen musterten ihn eindringlich, und es kam ihm vor, als hätte sie ihm plötzlich eine Pistole auf die Brust gedrückt.

»Wirklich«, sagte Carter mit Nachdruck. »Du kannst dich auf mich verlassen.«

Ashok lenkte seinen Wagen vorbei an den Security-Drohnen, welche die Zufahrt zur Charter Area in der Luft kontrollierten. Etwa 200 Meter entfernt entdeckte Carter die schwebende Pförtnerloge, von wo aus das Sicherheitspersonal die Luftstraßen überwachte, und direkt vor ihnen breitete sich das enorme Flugfeld aus, welches übersät mit kleinen und mittleren Frachtern war. Doch Carter sah sofort, dass nicht nur Frachtschiffe dort lagen.

»Die Allianz ist hier. Seht ihr? Da drüben sind zwei Dutzend Truppentransporter. Die Kennzeichnung ist eindeutig. Die kommen von einem der ›Defense-Hubs‹!«

Ashok brachte seinen Wagen langsam runter, als er mit einem Mal eine Hand vom Steuer nahm und nach rechts deutete.

»Dort ist er. Seht ihr diesen grauen Hover-Truck mit dem formlosen Aufbau?«

»Sehe ich«, bestätigte Joseph. »Aber dieser kleine Twin-Jumper daneben kann unmöglich das dazugehörige Schiff sein?«

Carter suchte das Vorfeld ab, doch unter den Hunderten Schiffen war es nahezu unmöglich, den gesuchten Transporter ausfindig zu machen, zumal er nicht einmal wusste, wie er aussah.

»Dort!«, rief Ashok. »Auf der Startbahn!«

Der Wachmann deutete auf ein mittleres Frachtraumschiff, das in diesen Sekunden beschleunigte. Weil es die Startbahn nutzte, vermutete Carter, dass es für Kurzstrecken ausgelegt war und über einen Single-Stage-To-Orbit-Antrieb verfügte.

»Weit können die nicht wollen! Track seine Signatur, Ashok, dann wissen wir, wohin er will.«

»Es ist auf dem Weg ins All!«, stellte Ashok fest. »Angemeldeter Zielort ist ein Punkt mitten im Nichts über dem Äquator, in etwa 700 Kilometern Höhe. Wir sind zu spät. Wie sollen wir ihnen folgen?«

Carters Gedanken rasten und die einzige Idee, die ihm unvermittelt in den Sinn kam, erschien ihm gleichzeitig eine der dümmsten überhaupt zu sein.

»Geh runter, Ashok. Wir folgen Tian Fen mit einem Truppentransporter.«

»Was?«, rief der Wachmann aufgeregt.

»Ha!«, lachte Joseph von der Rückbank. »Du willst ein Schiff der Allianz stehlen, um dem Rebellenboss hinterherzufliegen? Ich bin sowas von dabei, Mann!«

»Oh, nein!«, wehrte Ashok ab. »Ich werde nicht …«

»Los, bring den Wagen runter!«, forderte Carter in bester ›Rascal‹-Manier. »Aber schön langsam. Ich will nicht, dass die sofort Verdacht schöpfen. Die Einheiten von den Hubs sind keine Idioten.«

Ruhig setzte Ashok den Maruti zwischen den Syrakus-Transportern ab. Carter fiel auf, dass nur vereinzelt Soldaten bei den über 20 Schiffen waren, und diese beachteten den Wagen nicht. Die allermeisten Soldaten schienen sich auf ihren Einsatz in der Stadt vorzubereiten. Vielleicht waren sie in einem Hangar bei der Einsatzbesprechung.

»Na, schön«, sagte Olivia. »Welches Schiff möchtest du entführen, du Profi?«

Carter ließ den Blick schweifen. Nur einen Augenblick später blieb er an einem Schiff hängen und ungläubig rief er aus: »Das kann doch nicht wahr sein!«

»Was ist los?«, fragte Olivia. »Hast du deine Ex-Frau gesehen?«

»Das ist die ›Maeve‹, das Schiff meiner alten Einheit.«

»Na, so ein Zufall. Kannst du es fliegen?«

»Und ob!«, sagte Carter.

»Dann nichts wie raus hier.«

Sie stiegen aus. Vorsichtig schlichen Carter, Olivia, Joseph und Ashok an dem Schiff vorbei, neben dem sie geparkt hatten, und erreichten die offenstehende Ladeluke am Heck der ›Maeve‹.

»Los, schnell! Es ist niemand drinnen!«, befahl Carter.

Joseph, Ashok und Olivia huschten hinein und Carter folgte ihnen mit schnellen Schritten. Er hatte das obere Ende der kurzen Rampe noch nicht erreicht, da hörte er plötzlich das Entsichern eines Gewehrs hinter sich.

»Stehenbleiben!«, forderte eine vertraute Stimme.

Carter hob seine Hände und drehte sich langsam um. Am unteren Ende der Rampe stand Snake.

»Carter!«

Obwohl es erst wenige Wochen her war, dass er seinen alten Kameraden das letzte Mal gesehen hatte, kam es Carter wie eine Ewigkeit vor. Unter Snakes Gefechtshelm spielte sich ein Kaleidoskop von Gefühlen ab, vor allem aber schien er nicht zu glauben, dass es wirklich Carter war, der vor ihm stand.

»Was um alles in der Welt tust du hier, Captain?«, fragte er.

»Captain!«, schmunzelte Carter. »Ich arbeite jetzt hier in Tenggara.«

»Ich habe gehört, dass die dich bei der Polizei untergebracht haben. Aber ausgerechnet hier?«

»So ein Zufall, dass wir uns treffen, was? Was hast du hier zu suchen?«

Snake erwiderte mit finsterem Blick: »Ich bin hier, um Terroristen zu grillen.«

Für Carter war nicht zu übersehen, dass Snake nicht zum Plaudern hier war. Immerhin war Carter kein Mitglied der Allianz mehr, und die drei Personen hinter ihm waren keineswegs dazu berechtigt, einen Truppentransporter zu betreten. Ganz zu schweigen davon, dass jeder von ihnen eine Laserwaffe mit sich führte. In Snakes dunklem Gesicht formte sich eine ausgeprägte Verstimmung.

»Du steckst ganz schön in Schwierigkeiten, alter Freund.«

Carter wusste, was folgen würde, also improvisierte er.

»Weißt du, Snake. Ich habe rein zufällig erfahren, dass ein hohes Tier der Rebellen in diesem Augenblick auf dem Weg ins All ist, um ein weiteres Portal zu öffnen. Wir wollen ihn aufhalten und ehrlich gesagt, können wir jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können.«

Snakes Verstimmung wandelte sich zu einem Blick, der verriet, dass er Carter für übergeschnappt hielt.

»Bist du betrunken?«, fragte er.

»wird` mal nicht unverschämt, Snake«, erwiderte Carter verärgert. »Ihr seid doch wegen dieses unterirdischen Planetenportals hier, oder etwa nicht?«

»Wovon redest du, Carter?« Unsicher blickte Snake einen nach dem anderen an. »Wir haben die Order, die Terroraktionen der Rebellen zu beenden und das Nest dieser Ratten hochzunehmen. General Aziz hat Hinweise, dass der militante Arm der Rebellion hier in Tenggara Haven sitzt.«

»Das tut er, Snake!«, bestätigte Carter und trat langsam auf seinen ehemaligen Kameraden zu. »Aber die ganze Sache ist anders, als ihr glaubt. Die Rebellen sind im Besitz eines alten Planetenportals. Sie haben es geöffnet und es gibt eine Verbindung zu einem der Exoplaneten. Und was noch schlimmer ist, die Rebellen planen, ein viel größeres Portal im Erdorbit zu öffnen, um eine feindliche Raumschiffflotte zur Erde zu führen.«

Snake hörte sich alles an, doch Carter war klar, dass er wie ein Verrückter klingen musste.

»Hör zu, Carter. Ich kann verstehen, dass du deine Gründe hast. Aber als Captain der ›Rascals‹ habe ich meine Befehle, und die lauten: Die Rebellen in Tenggara Haven eliminieren. Was für dich und deine Freunde allerdings nicht so günstig ist, ist die Tatsache, dass du unerlaubt in meinem Schiff bist. Also, nenn mir einen vernünftigen Grund, warum ich keine Verstärkung rufen sollte.«

Wie zum Beweis, dass Snake es ernst meinte, fuhr die linke Hand seinem Ohr entgegen. Carter erkannte plötzlich das Dilemma, in dem er und die anderen steckten. Die ›Maeve‹ war das einzige Schiff, mit dem sie Tian Fen ins All folgen konnten, um ihn von der Öffnung des gewaltigen Himmelsportals abzuhalten.

Gleichzeitig wurde Carter von seiner Vergangenheit eingeholt, und er wusste, dass er den nächsten Schritt nicht gehen konnte, ohne sich den Weg zurück zur Allianz für immer zu verbauen. Die Zeit lief ihm davon. Carter kannte seinen ehemaligen Kameraden gut genug, um zu wissen, dass er nur noch wenige Sekunden auf eine Antwort warten würde.

Zur Hölle mit der Allianz!, dachte Carter.

»Also gut«, sagte er bedächtig.

Snake nahm seine Hand runter und folgte jeder Bewegung seines ehemaligen Captains. Carters Herz schlug bis unter die Schädeldecke. Er hoffte, Snake würde es irgendwann begreifen.

»Tut mir leid, Kumpel.«

Bevor Snake etwas erwidern konnte, riss Carter sein Gewehr hoch und schoss. Der Laserstrahl traf Snake an der Brust und die Wucht des Einschlags schleuderte ihn aus dem Schiff. Carter hämmerte auf den Taster neben sich und die Luke klappte zu. Er sah gerade noch, wie Snake auf der hellen Betonfläche zum Liegen kam, dann fuhr die Luke ins Schloss und das dumpfe Lärmen des Flugfelds brach jäh ab.

»Bist du verrückt?«, rief Olivia. »Du hast einen Captain der Allianz erschossen!«

»Er ist nicht tot«, rief Carter, als er sich nach vorn ins Cockpit begab. »Die Westen halten Laserbeschuss stand. Hätte ich ihn umbringen wollen, hätte ich auf seinen Bauch gezielt.«

Carter setzte sich auf den Pilotensitz und schaltete die Maschine ein. Dabei entdeckte er ein Foto, das der Pilot Sarvesh über die Instrumententafel geklebt haben musste. Es war ein Bild der ›Rascals‹, das bei der letzten Silvesterfeier entstanden war. Sowohl Carter, als auch Sarvesh und Snake, sowie die Mitglieder des Teams, die bei dem schrecklichen Einsatz in New Caledon gestorben waren, waren darauf zu sehen. Sarvesh musste das Bild erst nach Carters Austreten angebracht haben, zumindest war es ihm vorher nie aufgefallen.

Jemand schlug ihm fest auf die Schulter. Es war Joseph, der derbe lächelnd auf ihn herabblickte.

»Was ist los? Schlechtes Gewissen?«

»Nein«, sagte Carter. »Es ist nur, als würde ich nach Hause kommen.«

Carter verdrängte die aufkommenden Erinnerungen, startete die Triebwerke und ignorierte sämtliche Warnmeldungen auf dem Monitor des Bordsystems. Die ›Maeve‹ hob schaukelnd vom Boden ab und Carter lenkte sie geradewegs in den Himmel.

»Also, gut. Schnallt euch an. Wir holen uns diesen verdammten Aktivator!«

Die Erstürmung

Der Himmel vor der breiten Scheibe des Frachtshuttles hatte sein zuversichtliches Blau abgelegt und das endlos tiefe Schwarz des Weltalls angenommen. Fens Finger krallten sich an das Geländer des Kommandostands auf der überschaubaren Brücke, während die beiden Piloten das Schiff seinem Bestimmungsort näherbrachten. Hinter sich hörte Fen ein Zischen, und als er sich umdrehte, entdeckte er Dr. Hao. Er trug einen orangefarbenen Raumanzug, wie er selbst.

»Es ist alles bereit, Mister Tian. Der Aktivator ist eingeschaltet und sobald wir die berechnete Position erreichen, setzt er die Energieumwandler in Betrieb.«

»Sehr gut, Hao. Sorgen Sie dafür, dass alles glatt läuft. Ein Misserfolg würde nicht nur ein schlechtes Licht auf mich werfen. Sie haben gesehen, zu was der Meister fähig ist.«

Hao schluckte und blickte Fen ernst an, als zöge vor seinem geistigen Auge die grauenhafte Vorstellung vorüber, vom Meister in die Luft gehoben zu werden. Dann nickte er gefügig und verließ die Brücke wieder.

Fen wandte sich wieder der Frontscheibe zu und stellte sich vor, wie sich in wenigen Minuten dort, wo sich jetzt noch das All ausbreitete, ein gewaltiges Portal öffnen würde. So unvorstellbar groß, dass es einer ganzen Raumschiffflotte den Übergang ermöglichte.

»Mister Tian!«, rief plötzlich einer der Piloten.

Der junge Kerl blickte Fen mit Falten auf der Stirn an, sein Gesicht kreidebleich. Fen wusste, dass das, was er zu verkünden hatte, Ärger bedeutete.

»Da nähert sich ein Schiff. Es trägt die Signatur der Allianz.«

»Ein einzelnes Schiff?«, vergewisserte sich Fen.

»Aye.«

»Ein Jäger?«

Der Pilot drehte sich wieder vorn und versank mit seinem Gesicht beinahe im Hologramm.

»Negativ«, meldete er. »Sieht nach einem Transporter aus. Syrakus-Klasse.«

Fen erwiderte nichts. Er umschlang das Geländer des Kommandostands, als wollte er es erwürgen.

»Mister Tian!«, rief der Pilot. »Wie sollen wir verfahren?«

»Informieren Sie alle Wachen«, sagte Fen mit letzter Beherrschung. »Sieht aus, als bekämen wir gleich Besuch. Es darf niemand an Bord gelangen!«

Der Pilot sprach leise etwas in seinen Kommunikator. In Fen stieg grenzenlose Wut auf, und vom Zorn gepackt löste er seinen Griff und donnerte seine geballten Fäuste auf den blitzenden Stahl.


»Wir haben es!«, meldete Carter. »In etwa 75 Kilometer Entfernung.«

»Alles klar«, rief Ashok. »So, wie ich das verstanden habe, muss der Aktivator nur nah genug an den Energieumwandlern sein, um das Portal zu öffnen.«

»Dann verlieren wir besser keine Zeit«, beschloss Carter. »Bis zu den errechneten Koordinaten sind es keine 600 Kilometer mehr.«

Er schnallte sich ab und trat unter den irritierten Blicken der anderen aus dem Cockpit in den Mannschaftsraum. Die ›Rascals‹ waren gut vorbereitet, denn es gab sechs zusätzliche Raumanzüge und dazugehörige Jetpacks. Plötzlich bemerkte Carter Olivia neben sich.

»Was soll das werden? Ich dachte, wir knallen das Schiff der Rebellen ab.«

»Das ist ein Transporter, wir haben keine Geschütze«, antwortete Carter und hob einen Raketenrucksack auf.

»Du willst das feindliche Schiff doch nicht etwa entern?«

»Schlag was Besseres vor.«

Carter sah, dass Olivia nachdachte. Sie würde zu keinem besseren Ergebnis kommen, glaubte er. Und als sie nach einer halben Minute noch immer nichts sagte, reichte Carter ihr das Jetpack.

Keine fünf Minuten später trugen Carter, Olivia, Ashok und Joseph die weißen Raumanzüge der Earth Alliance und standen in der winzigen Schleuse des Transporters. Carter schenkte jedem von ihnen einen letzten aufmunternden Blick, bevor er den Druckausgleich aktivierte und die Tür zum All auffuhr. Entschlossen entließen die vier sich in die Schwerelosigkeit, aktivierten die Düsen an ihren Jetpacks und flogen dem Ex-›Rascal‹ Carter hinterher, geradewegs auf das Schiff der Rebellen zu. 700 Kilometer unter ihnen lagen – blau und schön – die schimmernde Wasseroberfläche und die tropischen Inseln der Föderation. Der Anblick seines Heimatplaneten erfüllte Carter mit Wehmut.

»Also, noch einmal«, erklärte er. »Der Frachtraum und die Brücke sind unser Ziel. Niemand wird sich irgendwo anders herumtreiben, verstanden? Wenn wir verhindern wollen, dass die Rebellen das Portal aktivieren, müssen wir dieses Schiff in unsere Gewalt bringen.«

Keiner gab ihm eine Rückmeldung, doch dann fiel Carter ein, dass die anderen keine Soldaten waren, und sie nicht darauf gedrillt waren, nach jeder seiner Ansagen ein ›Aye‹ von sich gaben.

»Okay«, rief Carter deshalb. »Geht davon aus, dass sie uns längst bemerkt haben. Wir machen es so, wie wir es gerade besprochen haben.«


Fen hatte seine Pistole gezückt und sich in einer Nische gegenüber der Schleuse verschanzt. Sobald sie sich öffnen würde – sollten diese Kerle den Sicherheitscode knacken – würden Fens Wachen auf alles schießen, was sich darin befand. Die Angreifer waren zu viert, das hatte zumindest sein Pilot ihm mitgeteilt. Fen glaubte nicht an Zufälle, doch etwas sagte ihm, dass es sein abtrünniger Wachmann und dieser Polizist waren.

Durch den Helm war seine Sicht zwar eingeschränkt, doch Fen fand es sicherer, wenn jeder an Bord die volle Montur trug. Er blickte den Korridor hinunter, wo am anderen Ende jenseits seiner Wachen, etwa 20 Meter entfernt, der gepanzerte Zugang zum Frachtraum lag. Hinter dem Rebellenanführer befand sich die geschlossene Tür mit der kurzen Zuwegung zur Brücke.

»An alle Mann!«, rief Fen harsch. »Ich will, dass ihr jeden Widerstand unverzüglich niederschlagt. Es sind vier Personen, lasst sie uns zermalmen. Keiner von ihnen darf auf die Brücke oder in den Frachtraum!«

Unter den schlanken Astronautenhelmen seiner Männer sah er entschlossenes Nicken, und nur einen Augenblick später vernahm Fen metallenes Schlagen, so, als sei etwas gegen die Schiffshülle gestoßen.

»Wie lange noch, Hao?«, zischte Fen in sein Mikrofon.

»Noch etwa fünf Minuten, dann springen die Energieumwandler an«, erklärte der Physiker. »Selbst, wenn sie das Schiff in ihre Gewalt bringen würden, können sie uns nicht mehr aufhalten.«

»Sie werden das Schiff nicht in ihre Gewalt bringen!«, knurrte Fen.

Aus der Schleusenkammer gegenüber kam dumpfes Rumpeln. Fen presste seine Lippen zusammen. Jetzt war der Moment, wo er all sein Können unter Beweis stellen musste. Wo er zeigen musste, dass der Meister ihn rechtmäßig als seinen Vertreter auf der Erde auserwählt hatte. Und dann, mit einem Mal, erstarben alle Geräusche in der Kammer. Alles war still, totenstill. Fen zählte die Sekunden.

Plötzlich glitt die Tür der Schleuse auf. Ohne den Befehl ihres Anführers abzuwarten, feuerten Fens Wachen auf den schmalen Durchgang, als galt es, alles darin in seine kleinsten Bestandteile zu zerlegen. Unvermittelt flog ein dunkler Gegenstand heraus. Fen wusste sofort, um was es sich handelte. Diese Schweine waren verdammt gut vorbereitet, das musste er ihnen lassen.

»In Deckung!«

Der scheibenförmige Gegenstand stoppte in der Luft und verschwand in einem blendenden Schein, so hell, als würde ein neuer Stern geboren. Fen wandte den Blick ab, und versuchte gleichzeitig seine Waffe auf den Durchgang gerichtet zu lassen. Blind schoss er, doch als er kurz hinübersah, musste er schockiert feststellen, dass auf die Blendgranate Rauchbomben im Korridor hochgingen.

»Lasst sie auf keinen Fall rein!«, brüllte Fen.


»Wir haben nur noch vier Minuten, bis zu den Koordinaten«, las Carter von seinem Head-Up-Display ab, unmittelbar nachdem er die Blendgranate aus der Schleuse geworfen hatte. Das grelle Laserfeuer der Angreifer war sofort abgeebbt und nur noch vereinzelt trafen Strahlen den wulstigen Türrahmen und die Rückwand der Schleuse. Die anderen des Teams drückten sich an die Seiten, wo die erste Welle des Beschusses sie nicht treffen konnte.

Doch nun musste es schnell gehen, denn Carter wusste, dass es nicht so bleiben würde. Die Rebellen würden sich neu formieren und einen Weg finden, die Schleuse zu erstürmen. Das grässliche Quäken einer Alarmsirene legte sich über den gleißenden Schein der Blendgranaten, und Carter zückte die zwei Rauchbomben von seinem Gürtel. Routiniert löste er bei jeder den Splint, warf sie hinaus, und nur Augenblicke später verteilte sich dichter Rauch auf dem Korridor. Zäh quoll er in die Schleusenkammer.

»Es geht los!«, flüsterte Carter. »Ashok, Joseph. Ihr geht nach links und bringt die Brücke unter eure Kontrolle. Olivia, du kommst mit mir. Vertraut auf euer Head-Up-Display! Das ist eure Superkraft. Das gibt es nur bei der Earth Alliance!«

Carter stürmte voran, nahm sofort Abstand vom Schleuseneingang, um aus der Schusslinie zu kommen. Der Nebel hatte den Korridor komplett in seiner Gewalt. Auf Carters Head-Up-Display erschien die holografische Darstellung der Gegneranalyse, und er sah, dass die Rebellen sich in den Nischen und Winkeln zwischen den Stützpfeilern versteckten. Er zielte auf den vordersten Gegner, und schoss, bevor dieser ihn überhaupt bemerkte.

Die holografische Visualisierung auf dem Display ging zu Boden und die Software zeichnete einen roten Rahmen um sie herum. Die blauen Silhouetten von Ashok und Joseph schlichen in geduckter Haltung an Carter vorbei. Sie schalteten zwei Angreifer aus, die sich in der Ecke neben der Tür zur Brücke versteckten.

»Drei Minuten!«, rief Carter. »Bringen wir das verdammte Schiff unter unsere Kontrolle!«

Soweit Carter es sehen konnte, befanden sich noch etwa sechs Rebellen auf dem Gang. Und er schätzte, dass zwischen 10 und 15 Personen insgesamt an Bord sein mussten.

Fünf von ihnen verschanzten sich auf dem Weg zum Frachtraum. Ein weiterer war vor der Tür zur Brücke, doch Carter sah, dass er durch den Nebel das Weite suchte, und in einem der angrenzenden Räume verschwand. Ihn würde er später ausschalten. Jetzt war das Wichtigste, dass der Aktivator zerstört wurde und das Schiff seinen Kurs änderte.

Olivia erschien dicht neben Carter. Hinter ihrem Visier machte der Soldat einen entschlossenen Blick aus. Er gab ihr ein Handzeichen, schlich voran und verschaffte sich einen Überblick.

Diese Ratten glauben wohl, die können sich so lange in ihren Ecken verstecken, bis wir an ihnen vorbeikommen, sagte sich Carter.

An seinem Gewehr tippte er auf die Wechsler-Taste, woraufhin bei der Feuerauswahl das Lasermodul gegen das Zielschussmodul gewechselt wurde. Dann nahm er jede der fünf holografischen Abbildungen in seinen Fokus. Die Software bildete über ihren Körpern ein blaues Fadenkreuz, der Hinweis, dass die Zielerfassung arbeitete.

Ohne ein Wort zu sagen, betätigte Carter den Abzug und fünf Lenkgeschosse verließen den Lauf des Gewehrs. In engen Kurven jagten sie ihren Zielen entgegen und trafen mit erschreckender Präzision. Nacheinander kippten die Rebellen aus ihren Verstecken und blieben regungslos auf dem Boden liegen.

»Wow«, gab Olivia verblüfft von sich.

»Tja, die kleinen Spielereien der Allianz«, sagte Carter.

»Wie aktiviere ich diese Funktion bei mir?«

»Zeige ich dir später. Komm jetzt!«

Durch den schwindenden Nebel hasteten die beiden auf die verschlossene Tür am Ende des Gangs zu. Carter sicherte nach hinten ab, während Olivia sich am Terminal zu schaffen machte.

»Das ist ein Sirius-System«, sagte sie. »Das haben wir gleich.«

Von vorn hörte Carter Schüsse. Ashok und Joseph mussten sich im Kampf um die Brücke befinden, und er hoffte, die beiden bekamen die Lage in den Griff, bevor das Schiff bei den Koordinaten war. Hinter Carter zischte es. Die breite Tür war aufgefahren, und sofort drehte er sich um und zielte in den Frachtraum. Als er niemanden darin entdeckte, huschten er und Olivia hinein und schlossen die Tür unverzüglich wieder.

»Da ist er!«, rief Carter.

Der Frachtraum besaß die Größe eines kleinen Parkdecks und in seinem Zentrum lagerte eine große Palette, auf der ein seltsam anmutendes Gerät befestigt war. Carter zweifelte keine Sekunde daran, dass es sich nicht um den Aktivator handeln könnte. Er sah sich um. Das gedämpfte Neonlicht beleuchtete einige mit Spanngurten an den Wänden gesicherte Transportkisten, und am Heck entdeckte Carter die breite Frachtluke.

Olivia ging vorsichtig um den Aktivator herum. Das Ding war so hoch, dass Carter nur noch ihren Schopf sah. Es brummte und zahllose tiefrote Lichter leuchteten an unterschiedlichen Stellen auf.

»Das Ding scheint gerade seinen Betrieb aufzunehmen«, sagte Olivia. »Was machen wir?«

Carter aktivierte den Funk: »Joseph, wie ist die Lage bei euch?«

Das Zischen etlicher Laserstrahlen drang durch den Kopfhörer zu ihm, gefolgt von Josephs angestrengter Stimme.

»Das dauert noch ein paar Minuten. Einer der Piloten hat sich am Steuer festgebissen.«

»Wir haben keine paar Minuten mehr. Seht zu, dass wir sofort abdrehen.«

»Ich tue, was ich kann«, knirschte Joseph.

Carter beendete das Gespräch, indem er sich an den Aktivator warf, und ihn untersuchte. Irgendwo musste dieses Ding eine Art Schnittstelle besitzen, mit der man es bedienen konnte. Ein roter Laserstrahl traf den Aktivator dicht neben Carter. Der Soldat warf sich zu Boden, drehte sich um. Hinter ihm huschte jemand vorüber und entschwand um die Ecke des Objekts.

»Olivia, jemand ist hier drinnen!«

Carter kam zurück auf die Beine, folgte dem Schatten. Plötzlich leuchtete ein greller Schein auf und Carter hörte Olivia schreien.

»Nein!«, rief er.

Als er um die Ecke bog, sah er es. Olivia stand mit gezücktem Gewehr vor einem niedergegangenen Rebellen. Der hagere Mann mit asiatischem Gesicht hielt ein Tablet und eine Waffe in seinen Händen. Olivia hatte gut getroffen. Ein Loch klaffte mitten in seinem Anzug.

»Bist du verletzt?«, fragte Carter.

Erneut leuchtete ein grelles Licht auf. Olivias Blick nahm einen erschrockenen Ausdruck an, und bevor Carter fragen konnte, was geschehen war, kippte die Diebin nach vorn. Hinter ihr stand noch jemand. Carter erkannte ihn sofort. Es war der Penjaga persönlich, und er trug einen gepanzerten orangefarbenen Raumanzug. Er schloss die Tür, durch die er soeben gekommen war, aktivierte am Terminal die Verriegelung und richtete seine Pistole auf Carter.

Noch 2 Minuten, las Carter in seinem Display.

»Mein Physiker gegen deine Komplizin!«, rief Tian Fen. »So sehen wir uns also wieder!«

»Keine Sorge, das wird garantiert das letzte Mal sein«, erwiderte Carter.

Er sah besorgt auf den Boden. Olivia regte sich noch.

»Große Worte für ein so kleines Licht. Glaubst du ernsthaft, du kannst die Ereignisse aufhalten? Dies ist der mächtigste Aufstand, den die Welt erlebt hat, und in wenigen Minuten wirst du Zeuge werden, wie die Allianz untergehen wird.«

Carter musste etwas unternehmen. Tian Fen würde ihn erschießen, so oder so. Und da er seinen abgrundtief bösen Masterplan bereits dargelegt hatte, würde dieser Augenblick nicht mehr lange auf sich warten lassen. Da sah Carter es. Zwar trug der Penjaga einen schweren Raumanzug, der ihn gegen Laserbeschuss mindestens so gut schützte wie sein eigener, doch im Gegensatz zu Carter besaß er keinen Jetpack. Außerdem schrillte der Evakuierungsalarm, wodurch die Notöffnung sämtlicher Ausgänge freigegeben war!

Ohne zu zögern sprang Carter ab, aktivierte an seinem Handgelenk die Düsen. Der Penjaga feuerte, verfehlte Carter jedoch. Der Schub in seinem Rücken drückte Carter mit wahnwitziger Geschwindigkeit Tian Fen entgegen. Und bevor dieser einen zweiten Schuss abgeben konnte, hatte Carter ihn gepackt und prallte mit ihm gegen die Tür zum Korridor.

»Das wird dir nichts bringen, du Narr!«, rief Tian Fen.

Carter hievte den Rebellen herum, sprang erneut ab. Mit ihm im Schlepptau glitt er zum Heck des Schiffs, wo sie gegen die Frachtluke stießen. Tian Fen hatte noch immer seine Waffe in der Hand, die er jetzt auf Carter richtete.

»Das wirst du schön bleiben lassen!«

Der Penjaga war zäh, fand Carter. An der Art, wie er kämpfte, vermutete er, dass er entweder ein Ex-Militär oder ehemaliges Mitglied einer paramilitärischen Einheit war. Doch das würde ihm jetzt auch nicht mehr helfen.

Während er mit einer Hand den Rebellenanführer in Schach hielt, langte Carters andere nach dem Terminal der Luke.

1 Minute bis zu den Koordinaten, las Carter.

»Olivia!«, rief er. »Halt dich fest!«

Fen schien zu ahnen, was Carter plante. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen ihn, drückte kopflos den Abzug der Waffe. Die Laserstrahlen zischten wild durch den Frachtraum, trafen Wände, Boden und den Aktivator. Fen brüllte sich die Kehle aus dem Leib, hielt Carter mit allem, was er hatte vom Terminal zurück. Carter bäumte sich mit letzter Kraft gegen den Angreifer auf, bekam den Nothebel zu packen.

Mit einem befreienden Schrei zog er ihn herunter, und die Luke fuhr auf. Ein unbändiger Sog erfasste den Frachtraum. Hinter der auffahrenden Klappe erschien die erhabene Ellipse der Erde.

Carter aktivierte seine Düsen, um nicht nach draußen gesogen zu werden. Tian Fen zappelte wie ein Fisch an der Angel, begehrte verzweifelt gegen sein Schicksal auf. Doch Carter kannte keine Gnade für ihn. Ein letztes Mal sah er dem Rebellenanführer in die Augen.

Dann knurrte er: »Fahr zur Hölle!«

Er ließ Tian Fen los, und dieser allein besaß nicht die Kraft, um sich an Carter festzuhalten. Er rutschte ab und wurde hinaus ins All gesogen. Sein Körper wirbelte um seine eigene Achse, so stark, dass es ihm unmöglich war, auf seinen Angreifer zu schießen. Schon nach wenigen Sekunden hatte Carter ihn aus den Augen verloren. Der Sog ließ nach und alle Geräusche um Carter herum verstummten.

»Olivia!«, rief er.

Mit seinen Magnetstiefeln stampfte er über den Boden und fand sie. Sie hatte sich am Aktivator festgehalten, und blickte benommen zu ihm auf.

»Wo hat er dich getroffen?«

Sie gab keine Antwort, aber Carter sah es auch so. An ihrer linken Hüfte war ein Brandloch, dort, wo der Anzug keine Panzerung besaß.

»Ich schließe die Luke sofort wieder!«, sagte Carter.

»Nein«, ächzte Olivia. »Zuerst müssen wir den Aktivator zerstören!«

In diesem Augenblick änderte das Shuttle seinen Kurs. Die Erde verschwand hinter der offenen Luke, stattdessen breitete sich dort das endlose All aus.

»Reed, hörst du mich?« Es war Joseph. »Wir haben die Brücke unter unserer Kontrolle. Wir bringen den Vogel zurück zur Erde.«

»Sehr gut. Es tut verdammt gut, dich zu hören, Mann!«, gestand Carter. »Hör zu, Olivia ist verletzt, aber wir haben den Rebellenanführer rausgeschmissen.«

»Was ist mit dem Aktivator?«, fragte Joseph.

Carter dachte nach. Er blickte Olivia, die konzentriert durch ihre gespitzten Lippen atmete. Sie schien das gleiche zu denken wie Carter und nickte.

»Ich habe eine Idee, wie wir das Ding loswerden können.«

Der Beginn

Olivias Wunde sah schlimmer aus, als sie war. Zwar hatte Tian Fens Laser ihren Anzug durchlöchert, aber ihre Hüfte glücklicherweise lediglich gestreift, sodass sie nur eine leichte Verletzung davontrug. Nachdem sie sichergegangen waren, dass kein Rebell mehr an Bord war, der ihnen gefährlich werden konnte, hatten Carter, Olivia, Ashok und Joseph sich die Helme abgesetzt.

Carter hatte sich Olivias Wunde angesehen, auch wenn sie nicht sonderlich erfreut darüber gewesen war, ihr Shirt in Anwesenheit dreier Männer zu lüften. Nun saß sie auf dem Sitz neben dem Kommandostand und blickte ermattet aus dem Fenster, hinter dem sich ein Feuerschein zu bilden begann.

»Wir treten jetzt in die Atmosphäre ein«, verkündete Carter vom Pilotensitz. »Mach die Frachtluke zum Öffnen bereit, Joseph.«

»Und du bist sicher, Reed, dass das funktioniert?«, fragte Joseph.

»Auf der Flugakademie habe ich gelernt, dass alles, was keinen Hitzeschild besitzt, beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht. Warum sollte dieser Aktivator eine Ausnahme darstellen?«

»Du bist der Boss, Mann«, sagte Joseph. »Ich öffne jetzt die Frachtluke.«

Carter hielt das Raumschiff auf Kurs, während Joseph die Konsole vor sich bediente.

»Luke ist offen. Ich fahre nun den Aktivator mit dem Palettentransportsystem raus.«

Joseph tippte auf eine Taste und vor ihm auf dem Monitor erschien die Anzeige der Kamera über der Frachtluke. Carter sah kurz von seinen Instrumenten auf. Die Palette kippte in diesem Augenblick über die Kante und verschwand aus dem Schiff.

»Das war‘s«, verkündete Joseph unbeeindruckt. »Das Ding dürfte höchstens eine bessere Sternschnuppe abgeben. Ab nach Hause!«


Carter vermied es, den zivilen Flughafen von Tenggara Haven anzusteuern. Mittlerweile musste jeder dort wissen, dass er ein Schiff der Allianz gestohlen hatte, und das Sicherheitspersonal würde ihn verhaften, sobald er sein Gesicht in eine der Kameras hielt.

Stattdessen setzte Carter das Frachtschiff auf einer Landzunge auf der anderen Seite der Saleh Bucht ab. Zwischen den Palmen fand er in Ufernähe eine Lichtung, die groß genug war, um das etwa 40 Meter lange Schiff abzusetzen. Und kaum war der Antrieb verstummt, waren das Rauschen des Meers und das Rascheln der Palmwedel die einzigen Geräusche, die er hörte. Alle Anspannung fiel von Carter. Er löste den Gurt, stand auf und blickte in die erschöpften Gesichter seiner Kameraden.

Über die Personenrampe gelangten sie nach draußen, wo sich ihnen am nahen Ufer eine beeindruckende Aussicht auf das etwa 20 Kilometer entfernte Tenggara Haven bot. Eine Weile standen sie nur still da und blickten über die Bucht, als versuchte jeder für sich zu reflektieren, was gerade geschehen war. Olivia war die Erste, die etwas sagte.

»Tja. Ich schätze, du hast die Welt gerettet, Carter.«

»Wir«, antwortete Carter. »Wir alle haben es.«

»Aber dieses Artefakt hältst du nach all dem Stress immer noch nicht in deinen Händen. Genauso wenig wie ich meine saubere Akte.«

»Ashok kann uns zum Portal bringen«, sagte Carter. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich den Schlüssel in meine Finger bekomme. Aber ich befürchte, dass er mir nicht die Rückkehr in den aktiven Dienst bei der Allianz gestatten wird.«

»Das kannst du dir sowas von abschminken, Reed!«, mischte sich Joseph ein. »Nach allem, was du dir geleistet hast. Die werden dich eher einbuchten. Aber weißt du was? Ich bin auf deiner Seite, auch wenn die ganze Welt gegen uns ist. Wir werden gegen die Rebellen kämpfen, um sie von ihrem miesen Plan abzuhalten. Die ist erst der Anfang!«

»Ich bin auch dabei«, rief nun Ashok. »Diese Echos unterwandern die Rebellion, wenn sie sie nicht sogar aus dem Boden gestampft haben, um ihren geheimen Plan umzusetzen. Das alles scheint eine dunkle Invasion zu sein, angezettelt von der außerirdischen Macht jenseits der Portale. Sie scharren die Unzufriedenen um sich und lassen sie im Glauben an eine bessere Welt in den Kampf ziehen. Dabei sägen diese Unglücklichen an ihrem eigenen Ast, ohne es zu merken.«

Eine launische Böe zog durch die Palmen und legte sich angenehm erfrischend über Carters Gesicht. Er schloss die Augen, genoss das Gefühl. Es hatte auch etwas Gutes, nicht im All auf einem der ›Defense-Hubs‹ zu leben. Und wenn er recht darüber nachdachte, hatte er mehr von den Dingen hier unten auf der Erde vermisst, als er sich es eingestanden hatte.

Carter blickte nach links. Da waren sie, seine neuen Kameraden. Jeder auf seine Weise besonders. Jeder bereit, alles zu geben, nicht für ihn, sondern für das Wohl der Erde. Er wusste, er konnte sich auf sie verlassen. Aus Widersachern waren so etwas wie Freunde geworden.

Vorerst war die Gefahr gebannt, doch die Rebellen würden nicht ruhen, bis die Echos über die Erde herfallen konnten. Carter musste das irdische Portal zerstören. Mit oder ohne die Hilfe der Allianz. Der Kampf um das Schicksal der Erde hatte gerade erst begonnen!


Die Schleuse fuhr auf und Fen kroch auf allen Vieren in den dunklen Raum. Nur ein paar wenige Notlichter erhellten den stählernen Boden, und um ihn herum schaukelten die zahllosen, zu schattenumspielten Stapeln getürmten Transportkisten. Irgendwie hatte dieser schrottreife Weltraumkahn nach endlosen Stunden sein Notsignal aufgeschnappt, nachdem dieser verfluchte Bulle ihn aus seinem Frachter geschmissen hatte.

Sein Sauerstoff war bereits zur Neige gegangen und so riss sich Fen im Zentrum des Raums den Helm vom Kopf, rang begierig nach Luft. Wo zur Hölle war der Kapitän? War überhaupt jemand hier?

Er überlegte, wie er dem Meister nach dieser Schlappe unter die Augen treten konnte. Aufgeben war keine Option für Tian Fen, nie gewesen. Er würde kämpfen. So lange, bis dieser Polizist und seine Helfer dort waren, wo er sie haben wollte: Unter der Erde!

Etwas knackte und als Fen aufsah, stellte er erschreckt fest, dass er doch nicht allein hier war. Einige Meter vor ihm im Schatten stand jemand.

»Sind Sie der Captain?«, brachte Fen erschöpft hervor.

Doch die Person antwortete nicht. Und je länger Fen seinen Blick auf sie richtete, desto mulmiger wurde ihm, denn ihre Silhouette erinnerte ihn plötzlich an jemanden. Die Person trat vor und im schwachen Schein der schüchternen Lichter erkannte Fen, um wen es sich handelte. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als die dunkle Gestalt in dem langen schwarzen Mantel ihm einen pillenförmigen Gegenstand entgegenhielt.

»Bitte nicht!«, flehte Fen.

Doch schon im nächsten Augenblick baute sich direkt vor ihm ein flirrendes und brummendes Hologramm auf. Die schlecht visualisierte Darstellung einer Respekt einflößenden Kreatur mit langer Kutte und in Kapuze verborgenem Gesicht erhob sich über ihm.

»Meister!«, rief der Rebellenanführer demütig. »Ich kann alles erklären.«

Der Meister erwiderte nichts. Er hob nur seine Hand in Fens Richtung und dieser spürte unvermittelt einen kräftigen Druck in seiner Körpermitte.

»Bitte!«, japste Fen. »Ich kann es wieder gutmachen. Lass mich am Leben, ich bin noch nicht bereit! Ich … ich werde …«

Der niederschmetternde Schmerz übermannte Tian Fen, und wie ein Spielball kosmischer Kräfte hob er vom Boden des Frachtraums. Ein knisterndes Sengen jagte durch seinen Körper. Auch über seine Haut zog sich diese Höllenqual und es fühlte sich an, als würde er bei lebendigem Leibe verbrennen. Fen schrie. Er wusste, dies war der Preis für sein Versagen. Niemand würde ihn hören.

Die dunkle Kreatur würde ihm das geben, was er verdient hatte. Und was er brauchte, um die Ankunft des Meisters auf der Erde doch noch in die Tat umzusetzen.

E N D E

WIE GEHT DAS ABENTEUER WEITER?

Hier erfährst du, wie das Abenteuer um Carter Reed und die bedrohlichen Echos weitergeht. Inklusive Leseprobe des ersten Kapitels!

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