In den Schatten Tenggaras

Die trostlose Seitenstraße im Osten Tenggara Havens klaffte wie eine vergessene Narbe inmitten des urbanen Dschungels. Die langen Schatten des hereinbrechenden Abends des 8. Julis hüllten die schmutzigen Mauern der verlassenen Gebäude in undurchdringliches Schwarz. Carter und Olivia standen zwischen den Wänden wie am Boden einer düsteren Schlucht, doch sie planten, noch tiefer zu gehen, denn sie wollten Carters riskanten Plan in die Wirklichkeit umsetzen.

Am Ende der Straße sah Carter den Verkehr vorüberziehen, fern und gedämpft, und er konnte sich sicher sein, dass niemand sie beachtete. Hielt man sich an einem Ort wie diesem auf, galt man gemeinhin als Abschaum. Olivia überprüfte noch einmal die Ausrüstung in ihrem Rucksack, während Carter seinen Blick über ihr Hoverbike schweifen ließ, mit dem sie beide hergekommen waren.

»Ich muss sagen, die Gegend sieht exakt so aus, wie ich sie mir vorgestellt habe«, sagte Carter.

»Unterwelt bleibt eben Unterwelt«, erwiderte Olivia. »Und du wolltest hierher.«

»Schon gut. Wir gehen rein, du bringst mich an diesen Ort, wo meinst den ›Penjaga Gerbang‹ gesehen zu haben, und wartest. Wenn mir etwas zustoßen sollte, dann…«

»Vergiss es, Mann«, ging Olivia dazwischen. »Da wird nichts schiefgehen. Ich will, dass du die verdammten Einträge in meiner Akte löschst.«

»Schon gut, nur für den Fall. Ich habe gern eine Alternative.«

»Ich nicht. Ich verachte Kompromisse.«

Olivia setzte ihren kleinen Rucksack auf und in Carter begann die Aufregung zu kribbeln. Sein Herz ging schnell und wild, denn für ihn war dieser Moment mehr als nur eine Mission – es war eine Chance, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Olivia führte Carter an einem der Gebäude zu einem Gittertor, welches überraschenderweise nicht verschlossen war. Sie traten hindurch, marschierten durch einen Spalt zwischen zwei Häusern, so schmal, dass Carters Schultern gerade hindurchpassten, und kamen schließlich an eine herabführende Treppe. Über mehrere Absätze wand sie sich in das Schattenreich unter Tenggara Haven, und je tiefer Olivia ihn führte, desto mehr fragte Carter sich, was er hier verloren hatte. Vielleicht sollte er einfach umkehren und seinen Dienst nach Vorschrift versehen, das würde ihm ein Haufen Ärger ersparen.

Unten schob Olivia eine Stahltür auf, in deren Quietschen die Last unzähliger Jahrzehnte zu liegen schien. Dahinter begannen die dunklen, labyrinthartigen Tunnel von Tenggara Haven. Olivia hatte Carter erzählt, dass sie sich wie die Adern eines riesigen, unterirdischen Organismus unterhalb der Stadt erstreckten, durchzogen von Geheimnissen und Verschwörungen. Carter und Olivia hatten sich beide mit Taschenlampen ausgestattet und trotzten der ewigen Finsternis etwas Licht ab. Carter hatte zudem eine Elektroschockwaffe bei sich. Janaka würde ihn für diese Tat köpfen!

Immer wieder passierten sie Orte, an denen hin und wieder Techniker der Stadtwerke ihre Wartungsarbeiten verrichten. Diese durch strahlende Lichter erhellten Inseln im schwarzen Nichts vermochten Carter etwas zu beruhigen. Das Echo ihrer Schritte auf dem kalten, steinigen Boden hallte von den schmutzigen Wänden des Tunnels wider, während sie sich immer tiefer in die Dunkelheit wagten.

»Kann es sein, dass wir im Kreis gehen?«, fragte Carter auf einmal.

»Pst, ich versuche, mich zu konzentrieren!«, rief Olivia störrisch. »Ich bin immerhin Kurierin und keine Pfadfinderin!«

»Du hast mir gesagt, du weißt, wie wir zum ›Penjaga Gerbang‹ kommen.«

»Ja, aber ich habe vergessen, was für ein gottverdammtes Labyrinth das hier unten ist!«

Sie gingen weiter, als Carter plötzlich eine Veränderung in den Geräuschen um sie herum erkannte. Er stoppte abrupt und lauschte in die Stille, als ob sich dort eine finstere Bedrohung verstecken konnte. Der Lichtkegel seiner Lampe erhellte nur wenige Meter und war somit keine große Hilfe.

»Warum hältst du an?«, fragte Olivia.

»Der Widerhall meiner Schritte«, sagte er. »Er klingt satter und mehrschichtiger als deiner.«

Olivia sah ihn verständnislos an. Hielt sie ihn wirklich für paranoid?

Carter sagte: »Möglich, dass es nur eine Laune der Tunnelakustik ist.«

»Möglicherweise habe ich einen leichten Gang. Ich wiege immerhin keine 100 Kilo?«, sagte sie.

»Na, vielen Dank«, murrte Carter, »dass du meine Muskeln für so schwer hältst!«

»Können wir endlich weiter, Carter?«

Verwirrt blickte der Space Marine ins Nichts, folgte aber Olivias Forderung und marschierte weiter, die Taschenlampe auf den Boden gerichtet, seine Waffe fest in der Hand. Carter lauschte und zählte seine Schritte. Da war es wieder, ein eigenartiges Phänomen! Carter durchzog ein finsterer Blitz der Erkenntnis. Ohne Vorwarnung drehte er sich um, riss seine Elektroschockwaffe hoch. Er feuerte blind einen Schuss in die Dunkelheit. Der flimmernde Impuls jagte dicht an der erschrockenen Olivia vorüber. Der Lichtblitz enthüllte einen Schatten etwa zehn Meter hinter ihr. Getroffen von Carters Schuss ging er zu Boden, begleitet von einem schmerzerfüllten Schrei.

»Bist du verrückt, oder was!«, rief Olivia aus.

Doch als sie sich umdrehte und die Person im Schatten liegen sah, schien sie zu begreifen.

»Eine Wache«, sagte sie. »Ich glaube, wir haben eine Abkürzung zum Ziel gefunden. Nicht schlecht, Carter!«

Mit ausgestreckter Waffe näherte sich Carter der Person. Es war ein Mann mit dunkler Haut und wildem Haar.

»Scheiße, ich kann mich nicht bewegen!«, gellte der Mann. »Boris, hörst du mich? Ich sitze in der Patsche!«

Carter richtete seine Lampe auf den Wachmann, kniete sich neben ihn.

Ein kleiner Fisch, dachte er.

Dann riss er ihm das Intercom von der Hand und den Kommunikator vom Ohr, bevor er weiter um Hilfe rufen konnte, und schmiss sie in die Finsternis. Der Mann protestierte, doch noch war er vom Elektroschock derart gelähmt, dass zu nichts anderem fähig war, als unkoordiniert mit seinen Armen und Beinen zu zucken.

Carter half dem Mann, der etwas kleiner aber auch etwas jünger war als er, auf die Beine. Er trug einen dunklen Einteiler und sah aus wie das Klischee eines Guerilla-Kämpfers vom indischen Subkontinent. Zwar baumelte noch das Gewehr auf seinem Rücken, aber der Mann schien sich seiner misslichen Lage bewusst, sodass seine betäubten Arme gar nicht erst danach angelten. Carter entnahm der Waffe das Lasermodul und stellte erfreut fest, dass der Anschluss auf seine Waffe passte.

»Ah, ein Upgrade«, sagte er freudig.

»Vergiss es!«, knurrte der Wachmann. »Weißt du, wie teuer diese Lasermodule sind?«

»Kannst dir ja einen vernünftigen Job suchen, anstatt wie eine Ratte hier unten der Rebellion zu dienen. Olivia, hast du irgendetwas dabei, um ihn zu fesseln?«

Sie war gut ausgerüstet. Sie förderte eine Rolle Gewebeband zutage, womit sie der Wache die Hände auf dem Rücken fixierte. Sie mussten sich beeilen und schnell weiter, denn sie beide wussten, dass der Mann wohl kaum allein durch die Unterwelt Tenggaras streifte. Carter tauschte das Elektroschockmodul seiner Waffe gegen das Lasermodul aus und forderte den Wachmann auf, sie dorthin zu bringen, wo sich der ›Penjaga Gerbang‹ aufhalte.

Der Mann tat, was man von ihm verlangte, wobei er zuerst mit schlürfenden Schritten vorankam, da der Elektroschock noch in ihm nachwirkte. Nach einer Viertelstunde durch die Finsternis – Carter hatte auf seine Uhr gesehen – erreichten sie einen unterirdischen Komplex, die zu einem darüber liegenden Gebäude zu gehören schienen. Die hell erleuchteten Räume erinnerten Carter an eine Hausmeisterloge, mit einer ausgedehnten Glaswand zu dem Korridor, über den sie kamen. Die Loge wurde von einem gewaltigen Steuerpult mit Monitoren und Maschinenschnittstellen dominiert und drei völlig abgesessene Drehstühle ließen Carter wissen, dass hier wohl schon länger niemand mehr seine Arbeit verrichtet hatte.

Carter schubste die Wache durch die schmale Tür. Fahrig torkelte der Mann gegen einen der Stühle und warf ihm einen wütenden Blick zu. Doch Carter ließ sich davon nicht beeindrucken und streckte ihm seine aufgerüstete Waffe entgegen.

»Ist noch jemand hier?«, fragte er.

»Nein, wir sind allein«, antwortete der Mann gelangweilt.

»Ich warne dich! Versuch‘ nicht, uns zu verarschen!«

Der Wachmann blickte abwechselnd zu Olivia und Carter, anscheinend wollte er herausfinden, wie das Verhältnis zwischen den beiden war, und ob sie wirklich so gefährlich waren, wie Carter ihm offenbar vermittelte.

»Werden wir hier auf diesen Penjaga treffen?«, fragte Carter.

Der Mann lachte spöttisch auf. »Der Penjaga…«

»Ja, der Penjaga«, wiederholte Carter. »Du weißt schon, von wem ich spreche, oder? Der Wächter des Tors?«

»Schon klar, ich bin kein Trottel! Der Penjaga ist nicht hier. Ich muss eine Zugangskarte besorgen, damit wir in die gesicherte Sektion gelangen, wo ihr ihn treffen könnt.«

»Nur zu!«, sagte Carter.

Carter warf Olivia einen skeptischen Blick zu. Kurz überlegte er, ob sie möglicherweise geflunkert hatte. Wie konnte sie wissen, wo sich dieser Penjaga aufhielt, wenn der Wachmann ihnen sagte, dass der Bereich gesondert gesichert war? Carter nickte ihm konzentriert zu.

»Ihr müsstet mich allerdings losbinden«, sagte der Mann.

»Ha! Auf diesen Taschenspielertrick falle ich nicht rein!«, knurrte Carter.

»Wie du meinst. Ich brauche meine beiden Hände für eine Zwei-Hand-Authentifizierung. Aber wenn du hier warten willst, bis meine 12 Kameraden auftauchen…«

»Schon gut!«, rief Carter. »Aber wehe, du machst Stress. Dann kannst du mit zwei kaputten Kniescheiben nach Hause kriechen. Falls du überhaupt ein Zuhause hast.«

»Ich lache später, okay?«, schnaubte der Mann.

Mit einem kleinen Messer schnitt Olivia dem Wachmann das Klebeband durch, und dieser ging in den sich anschließenden Raum, wo er vor einem großen Wandschrank stehenblieb. Carter erkannte links und rechts neben der Tür zwei kleine Interfaces. Der Mann breitete seine Arme aus und legte beide Zeigefinger auf die Sensorflächen.

»Du bluffst«, sagte Carter. »Es gibt keine 12 Kameraden, oder?«

Ohne sich umzudrehen, seufzte der Mann und sagte: »Ich sehe schon, es bringt nichts, dir etwas vorzumachen. Wir sind zu zweit an diesem Standort.«

»Wie heißt du?«

»Ashok.«

Carter sah, dass die Sicherheitseinrichtung des Schranks gerade die Fingerabdrücke des Wachmanns analysierte. An der oberen Seite der in der Wand verbauten Interfaces pendelten helle grüne Lichter auf einem LED-Band von der einen zur anderen Seite.

»Also gut, Ashok. Ich heiße Carter und meine Kollegin heißt Olivia. Die Sache sieht so aus: Du tust, was wir von dir verlangen. Dafür lassen wir dich am Leben. Verstanden?«

»Schon klar«, erwiderte der Wachmann. »Wäre ja nicht das erste Mal, dass mich jemand erschießen will. Ihr wollt zum Penjaga? Warum hier unten?«

»Sag mir, wo wir ihn sonst in Tenggara treffen können, dann lassen wir dich sofort in Ruhe.«

Der Mann schwieg, doch die Sicherheitsanlage des Schranks piepte und ein blaues Blinken an den Interfaces löste das grüne Pendeln ab. Die Geräusche auffahrender Schließriegel hallten durch den trostlosen, neonbeschienenen Kellerraum, und erst jetzt fiel Carter auf, dass hier allerhand Putzmaterialien herumstanden. Eimer, Schrubber, große Kanister mit Resten von Lauge, Kisten, aus denen Putzlappen heraushingen.

»Schon gut, ich werde euch zum Penjaga führen.«

Ashok zog den Schrank ein Stück weit auf.

»Einfach so?«, fragte Carter.

»Findest du das etwa komisch? Warum richtest du die Waffe auf mich?«

»Reine Vorsichtsmaßnahme. Für einen Rebellen leistest du mir irgendwie zu wenig Widerstand.«

Ashok verharrte in seiner Haltung. »Wie meinst du das?«

Carter musste schmunzeln. »Na ja, wir überlisten dich, entführen dich und fordern dich dazu auf, uns in einen gesicherten Bereich zu bringen. Und was tust du? Du machst brav mit, fast so, als wäre dein Sold bei den Rebellen so lausig, dass du jede Gelegenheit nutzt, um überzulaufen. Egal zu wem.«

Ashok hielt seine Hände noch immer an der halb geöffneten Schranktür und blickte über seine Schulter zu Carter, der gegen die Kanister lehnte. Olivia stand in der Hausmeisterloge und blickte wachsam durch die Scheibe auf den dahinterliegenden Korridor.

Ashok langte in den Schrank. Unnatürlich schnell, wie Carter fand. Er wurde sofort misstrauisch. Doch bevor er reagieren konnte, streckte sich ihm der Lauf einer Waffe entgegen. Carter warf sich instinktiv zur Seite, als ein Laserstrahl sich laut knisternd in die Plastikkanister fraß.

Ashok sprang vom Schrank weg, verschanzte sich hinter den Putzmaterialien. Carter stolperte zurück in die Loge, wo Olivia bereits hinter der Tür Schutz suchte.

»Wusste ich‘s doch!«, rief Carter. »In dieser Stadt wimmelt es von Ratten!«

Olivia blickte ihn verstimmt an. »Sollte ich das persönlich nehmen?«

Der Wachmann feuerte durch die Tür, traf das altertümliche Pult, die Scheibe. Klirrend zersprang sie und der schattige Hauch des Tunnels wehte Carter in den Nacken. Carter umklammerte seine Waffe, gab ein paar Schüsse zurück, ohne zu sehen, worauf er schoss. Er dachte nach. Selbst wenn die Wachen hier nur zu zweit waren, bedeutete ein weiterer Wachmann doppelten Ärger. Dieser Ashok würde entweder versuchen, zu fliehen oder Zeit zu schinden. Beides waren keine besonders erfreulichen Aussichten, fand Carter.

Mit einem Mal erstarb das Laserfeuer und Carter hörte, wie Ashok davonlief.

»Olivia, hast du gesehen, ob es da hinten einen weiteren Ausgang gibt?«

»Hier unten gibt es überall geheime Wege«, sagte Olivia. »Und wenn dieser Bereich zu einem darüber liegenden Gebäude gehört, dann kann dieser Typ nach Belieben von hier verschwinden.«

»Dann holen wir ihn uns, bevor ihm das gelingt!«, forderte Carter.

»Sollen wir ihn nicht einfach laufen lassen?«

»Er wird uns verraten.«

Olivias helle Augen blickten Carter streng an.

»Okay«, seufzte sie. »Was tut man nicht alles für eine weiße Weste. Und 5000 Extra-Credits.«

Sie zückte ihre Pistole und trat aus der Deckung zurück in den Putzraum. Beeindruckt von ihrem Mut folgte Carter ihr. Aus einigen Kanistern quoll Lauge und verteilte sich über den kargen Betonboden. Am Ende des Putzraums gab es eine Tür, hinter der ein schattenumhüllter Korridor lag.

»Was für Extra-Credits?«, wollte Carter wissen.

»Für diesen verfluchten Koffer. Du hättest mich beinahe erwischt. Das wollte ich auf meine Bezahlung draufschlagen, doch dieser Typ, der die Lieferung beauftragt hat, hat mir nur den zuvor ausgehandelten Betrag überwiesen.«

Sie schnellten in den Korridor, folgten seinem Verlauf in den Schatten.

»Und du glaubst, dieser Penjaga zahlt dir ein bisschen Extrakohle, wenn wir ihn finden?«

»Nein, das nicht«, sagte Olivia entschieden. »Aber es ist ein guter Anreiz, dir zu helfen.«

»Du stehst wohl auf Rache.«

»Eigentlich nicht, aber das gehört jetzt nicht hierher!«

Carter hörte Ashoks Schritte. Er zwängte sich an Olivia vorbei, und als er um die nächste Kurve biegen wollte, verfehlte ein greller Laserstrahl nur eine Handbreit seine Brust.

»Gib auf, Ashok! Wir haben dich!«, rief Carter.

Olivia blickte ihn mit erhobenen Augenbrauen an.

»Was?«, zischte Carter leise. »Das wird ihn verunsichern. Du darfst auch gern eigene Vorschläge machen.«

So wortlos wie unbeeindruckt zog Olivia ihren Rucksack ab und suchte darin nach etwas. Carter lugte um die Ecke, erkannte im Halbdunkel einige Meter vor sich eine menschliche Silhouette. Der Ex-Marine schoss, woraufhin Ashok sofort das Feuer erwiderte. Carter warf sich mit dem Rücken gegen die Wand und sah, dass Olivia einen kleinen dunklen Kasten in ihrer Hand hielt.

»Ist es das, wonach es aussieht?«, fragte er.

Sie gab ihm keine Antwort. Stattdessen gab Olivia einhändig etwas auf der kleinen Tastatur an der Oberseite des Geräts ein, und nur Sekunden später formte sich neben ihr eine zweite Olivia.

»Der Typ ist erledigt!«, sagte sie finster.

Die zweite Olivia starrte sie ernst an. Carter erschauderte bei dem Anblick, denn es war immer etwas Eigenartiges, wenn man ein Hologramm von sich selbst sah. Wusste man es nicht besser, konnte man dieses naturnahe Abbild für die echte Person halten. Nur bei physischen Interaktionen oder Gesprächen wurde schnell klar, dass man eine Kopie vor sich hatte.

Die holografische Olivia zückte ihre Waffe, stürmte um die Ecke und feuerte unechte Laserstrahlen in Ashoks Richtung. Carter ahnte, was sie vorhatte. Er stürzte ihr hinterher, sah, dass Ashok in seiner Deckung abgetaucht war. Das Hologramm hatte den Wachmann erreicht. Dieser jagte gnadenlos einen Laserstrahl nach dem anderen durch es hindurch.

Die plötzliche Erkenntnis, einer Täuschung aufgesessen zu sein, ließ ihn laut aufschreien. Doch Carter war bei ihm, ehe er zum Gegenschlag ausholen konnte. Ashok kniete auf dem Boden, und für den Polizisten war es ein Leichtes, ihm die Waffe aus den Händen zu treten. Doch selbst dann noch, als Carter ihn auf den Boden presste und ihm die Pistole an den Kopf hielt, gab sich der Wachmann kämpferisch. Carter zweifelte keine Sekunde daran, dass Ashok bereit war, für seine Überzeugungen zu sterben.

»So so, durch und durch ein Rebell!«, knurrte Carter.

»Und du?«, fragte Ashok harsch. »Ein Kopfgeldjäger? Wie jemand von der Allianz siehst du jedenfalls nicht aus.«

»Ich fasse das mal als Kompliment auf.«

Die holografische Olivia stand neben Carter und folgte dem verbalen Schlagabtausch mit unbeseeltem Blick.

»Zu schade«, sagte Ashok. »Dachte schon, deine Kameradin wäre echt. Ist ‘ne süße Kleine.«

In diesem Augenblick erschien die echte Olivia hinter der Ecke und warf dem Wachmann einen zornigen Blick zu.

»Die süße Kleine schlägt dir gleich die Zähne aus«, sagte sie humorlos. »Du hast auf mich geschossen.«

»Ich verteidige diesen Sektor vor allen Eindringlingen.«

Olivia hob Ashoks Waffe auf und fesselte seine Hände erneut mit Klebeband. Carter konnte über den Umstand, dass der Rebell ernsthaft versucht hatte zu fliehen, nur mit dem Kopf schütteln. Sicher, irgendwie hatte er schon mit so etwas gerechnet, doch Ashok schien kein Bauer oder Stahlarbeiter zu sein, dafür waren seine Reflexe einfach zu schnell.

»Also schön, du stinkende Ratte«, sagte Carter. »Die Fronten wären wohl geklärt. Noch so ein Ding und du bist erledigt. Du wirst uns jetzt zu dieser Sektion und dem Penjaga bringen.«

»Was kriege ich dafür?«, fragte Ashok.

Er stand mit dem Rücken an der Wand, im wahrsten Sinne des Wortes, und hatte dennoch die Dreistigkeit, Forderungen zu stellen.

»Wie wäre es mit körperlicher Unversehrtheit?«, gab Carter zurück.

»Ich dachte eher an diesen Holo-Projektor der süßen Kleinen.«

Aus dem Halbdunkel schnellte plötzlich Olivias Faust vor und traf Ashoks Mund.

»Ist ja schon gut, verdammt«, schrie Ashok. »Ihr versteht auch gar keinen Spaß! Aber wenn ihr darauf besteht: Ich will den Projektor, oder ich bringe euch nirgendwohin!«

Carter sah an Olivias Gesicht, dass ein derartiger Handel für sie überhaupt nicht infrage kam. Alle auf diesem Korridor wussten, welchen Preis ein solcher Projektor hatte, und Carter konnte sich gut vorstellen, dass der Apparat Olivias Lebensversicherung in heiklen Situationen war. Der Space Marine wandte sich an den Wachmann.

»Hör zu, du sollst einen Projektor bekommen. Aber nicht diesen.«

»Gibst du mir dein Wort?«, zischte Ashok.

»Würdest du es für voll nehmen?«

Ashoks rundes Gesicht musterte Carter ausgiebig. Er misstraute ihm, keine Frage. Andererseits schien dem Rebellen viel daran zu liegen, heil aus dieser Situation herauszukommen. Möglicherweise war sein Auftrag sogar, den Penjaga zu schützen. Carter musste also aufpassen, dass Ashok sie nicht in eine Falle lockte.

»Okay, abgemacht«, knurrte der Wachmann. »Aber ich bringe euch nur in den Transitraum.«

»Transitraum?«, fragte Carter verwundert.

Der Transitraum

Dass sich etliche Meter über Carters Kopf die tropische Welt Tenggara Havens ausbreitete, konnte der Ex-Captain kaum glauben. Mit den Händen auf dem Rücken führte Ashok sie durch die Finsternis. Es ging mehrere Ebenen hinab und für Carter schien es, als sei dieses Tunnelsystem keine reine Kanalisation, sondern eher eine Art unterirdische Anlage. Denn die wohlbekannten Regenwasserkanäle passierten sie nur gelegentlich. Meist wanderte die kleine Gruppe über Korridore, die Carter an Kellerräume erinnerten, an deren kargen Betonwänden Wärmerohre und Stromtrassen verliefen.

Irgendwann sagte Ashok: »Ich denke, ich muss euch nicht darauf hinweisen, dass ihr beide so gut wie tot seid. Der Penjaga versteht keinen Spaß, und wenn er herausfindet, dass Eindringlinge im Transitraum sind, blüht euch eine grauenvolle Strafe.«

»Die droht dir auch, wenn du nicht deine Klappe hältst!«, sagte Carter.

»Was ist das für ein Transitraum?«, wollte dagegen Olivia wissen.

»Keine Ahnung«, gestand der Rebell. »Boris und ich nennen ihn so.«

»Boris?«, fragte Carter.

»Mein Kamerad.«

Während sie weiter durch die Tunnel marschierten, dachte Carter über Olivia nach, und er kam zu dem Schluss, dass er es bewundernswert fand, wie furchtlos sie war. Eben war sie vorgeprescht, um Ashok aufzuhalten. Die meisten anderen Menschen wären vermutlich wie ängstliche Hasen in der Deckung geblieben, sie aber nicht. Wenn Carter genau darüber nachdachte, hätte Olivia sogar hervorragend in seine alte Einheit gepasst. Die ›Rascals‹ brauchten furchtlose, entschlossene, aber zugleich rational denkende Menschen. Und Olivia schien ein solcher Mensch zu sein.

Ashok ging mit ihnen eine lange Rampe hinab und blieb vor einem großen Tor stehen.

»Eure letzte Chance, heil aus der Sache rauszukommen«, sagte er. »Kehrt um, oder sterbt!«

»Du klingst wie das Orakel in einer Tarot-Werbesendung«, stellte Carter fest. »Mach sie auf.«

Der Wachmann verzog seinen Mund und drückte auf eine große runde Taste. Das meterhohe doppelflügelige Tor fuhr schwer und geräuschvoll auf, als würde es die Last jahrhundertealter Geheimnisse beiseiteschieben. Dahinter offenbarte sich Carter und Olivia ein unvermutet weitläufiger Raum. Die Decke lag in einer solchen Höhe, dass die Dunkelheit sie verschluckte. Am Boden beleuchteten Hunderte Lichter einen gewaltigen technischen Apparat.

»Was um alles in der Welt ist das?«, fragte Carter verwundert.

»Das ist der Transitraum«, erklärte Ashok. »Hier werdet ihr auf den Penjaga treffen. So, wie es aussieht, habt ihr Glück. Die Lichter brennen, das heißt, er wird demnächst irgendwann hier aufkreuzen.«

Ashok führte sie hinein und sofort fuhr das Tor wieder lautstark zu. Carter schätzte, dass das andere Ende des Transitraums etwa 60 Meter vor ihnen lag. Er konnte es nur erahnen, denn in der Mitte ragte ein meterhohes ringförmiges Gebilde empor, welches den gesamten Raum dominierte und ihm die Sicht nahm. Die stählern blitzende Oberfläche des Rings verriet, dass es eine Maschine war. Einige schüchterne Lichter blinkten in regelmäßigen Abständen am äußeren und am inneren Rand. Vor dem seltsamen Objekt waren Dutzende Steuerpulte aufgebaut, die einem den Eindruck vermitteln konnten, man befände sich auf der Brücke eines mächtigen Raumschiffs.

»Das ist unglaublich«, entwich es Carter. »Ist das etwa ein Planetenportal?«

»Keine Ahnung«, sagte Ashok unbeeindruckt. »Der Penjaga und seine Leute führen hier allerhand Versuche durch, von denen ich absolut keine Ahnung habe. Ist mir auch egal, ich bin nur hier, um die Rebellion zu unterstützen.«

Olivia sah Carter verdutzt an, dabei wischte sie sich ihren Pony aus den Augen.

»Ein Planetenportal?«, fragte sie. »Carter, bist du sicher?«

»Nein, ich bin mir nicht sicher, sonst würde ich nicht fragen.«

Mit Bedacht schlichen sie der eigenartigen Anlage entgegen und Carter bekam langsam aber sicher ein mulmiges Gefühl. In was für eine Sache war er hier hineingeraten? Er wollte bloß diesen verfluchten Koffer haben und zurück in die Allianz. Was er auf keinen Fall wollte, war, noch größeren Ärger zu bekommen als ohnehin schon.

Niemand war hier. Im Gegensatz zu den restlichen Räumen hier unten sah diese Anlage so aus, als wäre sie in Betrieb. Die hohen stählernen Wände, gleich einem gewaltigen Frachtraum, hüllten sich kantig um den Ring. Durch dessen Mitte sah Carter nun die andere Seite der Halle. Dort hinten an der Wand zogen sich über mehrere Ebenen Gerüste mit Wartungsgängen, die allesamt auf kleine Plattformen führten. Diese lagen an klobigen Generatoren, von denen wuchtige Kabel schwer herabhingen, welche mit dem ausladenden Podest an der Ringsohle verbunden waren.

»Ich selbst kenne die Planetenportale nur aus den Geschichtsbüchern«, sagte Carter. »Und ich hatte sie, ehrlich gesagt, für einen Mythos gehalten. Ihr wisst schon, so wie den Bigfoot und das Roswell-Ereignis.«

»Nicht nur du«, gestand Olivia. »Aber ich kenne einige Leute, die so fest an den Portalmythos glauben wie an Gott. Bisher hielt ich sie für Spinner.«

Ashok ging unbeeindruckt voran. Er schien sich in Sicherheit zu wiegen, was Carter überhaupt nicht gefiel. Immerhin hatte der Wachmann gerade zwei Unbekannte in den vermutlich am besten geschützten Bereich von Tenggaras Rebellen gebracht. Carter an seiner Stelle hätte alles getan, damit es nicht so weit gekommen wäre, doch Ashok machte sich anscheinend nichts aus seiner Entscheidung. Und das führte ihn zu der Vermutung, dass der Kerl entweder verrückt war oder er die Gewissheit hatte, dass die beiden wirklich nicht mehr lebend hier herauskamen.

»Also, Leute«, sagte Ashok. »Ihr könnt mir alles erzählen. Ich persönlich halte dieses Ding ja für irgendeinen Generator oder eine Aufbereitungsanlage für Strahlenwaffen. Ihr müsst wissen, der Penjaga hält sich meist zurück, was seine Strategie gegenüber der Allianz angeht.«

»Wundert mich nicht«, sagte Carter. »Und einem Typen wie dir würde ich auch nichts anvertrauen!«

Er blickte zu dem im Schatten liegenden Ring auf. Das Ding musste einen Durchmesser von mindestens 20 Meter haben.

»Ich weiß auch nur ein paar Dinge über diesen Mythos«, erzählte Carter weiter. »Diese Portale sollten interstellare Reisen ermöglichen, aber dann lief wohl irgendetwas schief.«

»Was, wenn das kein Mythos ist?«, fragte Olivia.

»Das ergibt für mich keinen Sinn«, sagte Carter. »Warum stehlen die Rebellen einen Koffer mit einem mysteriösen Gegenstand von der Allianz und bringen ihn hierher.«

»Was für ein Gegenstand?«

»Der Koffer, Olivia, den du diesem Mittelsmann übergeben hast. Darin ist eine Art Stein oder Artefakt, ich habe in New Caledon gesehen. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, ist, dass die Rebellen dieses Artefakt für diesen Ring benötigen. Ich habe aber keine Ahnung, warum…«

Carters laut hervorgebrachte Vermutung kam ins Stocken, denn plötzlich zuckte ein Gedanke durch ihn hindurch, wie ein Blitz durch die tobenden Wolken eines Gewittersturms. Doch der Soldat kam nicht dazu, seine Gedanken weiter auszuformulieren, denn hinter sich hörte er das zähe Schaben des Tors.

»Da kommt jemand!«, rief Olivia erschrocken.

»Jetzt seid ihr dran«, freute sich Ashok. »Der Penjaga ist da. Und wenn nicht es nicht er persönlich ist, dann sind es seine Leibwächter. Mann, ihr tut mir echt leid. War nett, euch kennengelernt zu haben.«

»Halt die Klappe, du Ratte!«, drohte Carter.

Er packte Ashok am Kragen und zerrte ihn vom Ring weg. In Olivias Blick erkannte er Panik.

»Wir verstecken uns!«, beschloss Carter. »Stopf ihm sein verdammtes Maul!«

Aktivierung!

Das Tor vor Fen schob sich quälend langsam auf. Er hatte sogar das Gefühl, dass es sich an diesem Tag besonders viel Zeit ließ, fast so, als wollte es Fens Geduld auf die Probe stellen. Die Wachen um ihn herum mieden den Blickkontakt zu ihm, was auch besser war, denn sie sollten gottverdammt noch mal darauf achten, dass die Aktivierung reibungslos über die Bühne ging. Einen Misserfolg würde der Meister nicht dulden.

Zusammen mit seinem 20-köpfigen Team betrat Tian Fen den Transitraum, den gestohlenen Koffer der Allianz fest in seiner Hand. Wie viele Leute für diesen zerbeulten Stahlbehälter ihr Leben gelassen hatten, wollte er sich gar nicht vorstellen, doch das, wozu sein Inhalt fähig war, rechtfertigte dieses Leid allemal.

Mit hastigen Schritten marschierte Fen an der Spitze seiner Untergebenen zwischen den Pulten hindurch bis zu einem Tisch. Hinter ihm lag die mit einem dünnen Geländer eingerahmte Kanzel mitsamt des Masterpults. Fen legte den Koffer auf den Tisch, öffnete die Verschlüsse und klappte ihn auf.

»Dann wollen wir mal schauen, ob unsere Berechnungen etwas taugen«, hörte Fen.

Er blickte über den geöffneten Koffer hinweg in das spitze Gesicht Dr. Haos, denn Fen war überrascht von seiner ungewohnt lockeren Aussage.

»Sie sind mein Chefphysiker Hao, ich hoffe doch sehr, dass Ihre Quantenberechnungen nicht zu einer Blase führen, welche die gesamte Stadt zerstört.«

Dr. Haos Euphorie erstickte mit einem Mal, denn er schien begriffen zu haben, dass er sich mit dieser Aussage keinen Gefallen getan hatte. Der Meister erwartete einen Erfolg, und genauso tat es Tian Fen.

»Selbstverständlich werden wir erfolgreich sein, Mister Tian«, sagte Hao demütig. »Meine Leute und ich sind in den vergangenen Tagen noch einmal alle Dokumente und Erkenntnisse der ehemaligen Projektgruppe der Allianz durchgegangen. Wir haben virtuelle Modelle der Aktivierung durchlaufen lassen, und diese führten, wie erwartet, zu den exakt gleichen Ergebnissen, die auch die Allianz damals erhalten hatte.«

»Gut«, sagte Fen nur. »Gut, wenn Sie wissen, was Sie tun.«

Dann senkte er den Blick. Im Innern des Koffers lag, gebettet auf dunklem Schaumstoff, der Schlüssel. Der gelbbraune Steinzylinder mit den polynesischen Inschriften jagte ihm erneut eine unheimliche Gänsehaut über den Rücken. Wenn man dieses Objekt so sah, hatte man nicht den Eindruck, dass es einer der mächtigsten Gegenstände im Sonnensystem war. Wenn nicht sogar der mächtigste!

Ehrfürchtig hob Tian Fen den Stein heraus, trug ihn die Kanzel hinauf und platzierte ihn über einer Öffnung in der Mitte des kleinen Masterpults. Dann ließ er ihn mit einer Vorsicht in die Öffnung sinken, dass man meinte, Fen würde eine Bombe entschärfen. Erst als er einen leichten Widerstand spürte, ließ er den Schlüssel los und drehte sich zu seinen Leuten um.

Seine Wissenschaftler saßen längst an ihren Stationen und führten ihre Aufgaben aus. Dieser Anblick erfüllte Fen mit Stolz, denn er hatte jahrelang auf diesen Moment hingearbeitet. Jetzt wusste er, wie sich die Menschen gefühlt haben mussten, die in den Anfangstagen der bemannten Raumfahrt nach Jahren der Theorie und der Planung endlich ›ihre‹ Rakete ins All bringen durften.

Fens Gefolgsleute trugen wie immer, wenn sie sich im Transitraum trafen, ihre weißen Einteiler, während er selbst in einem der dunklen Wachmannanzüge steckte. Dies war vor allem dem Umstand geschuldet, dass sich Fen trotz seiner Führungsrolle noch immer als einfache Sicherheitskraft fühlte.

Ein junger Kerl in der ersten Reihe – Fen vergaß ständig seinen Namen – hob den Kopf und verkündete: »Ich initiiere jetzt die Aktivierung. Alle Systeme sind vorbereitet, Kalibrierung abgeschlossen. Energiemessung innerhalb der Toleranz, Schlüssel erkannt und verifiziert.«

Fen nickte gemessen. Kurz flammte die Erinnerung an seine erste Begegnung mit dem Portal auf. Damals, ein halbes Jahr nach Ehuangs Tod, hatte der Ruf des Meisters und seiner Mission ihn aufgefangen. Fen hatte bei den Rebellen Trost gefunden, er wurde verstanden. Innerhalb weniger Monate hatte er sich zum mächtigsten Mann des Widerstands in Tenggara hochgearbeitet und wurde schließlich an das verloren geglaubte Planetenportal herangeführt, um die langersehnte Ankunft des Meisters vorzubereiten.

»Aktivierungssequenz initiiert«, gab der junge Wissenschaftler bekannt.

Fen nahm seine Hände zusammen. »Sehr gut! Schreiben wir Geschichte! Hao, beginnen Sie.«

Der Physiker stand in der Mitte hinter dem größten Pult, neben ihm zwei weitere Wissenschaftler, die fast schon besessen auf ihre Monitore starrten und ihre Aufgaben ausführten. Dr. Hao gab ihnen leise Befehle und las anschließend den Status des Prozesses von einer holografischen Darstellung vor sich ab.

»Übergänge der Energiezustände werden überwacht. Photonenabsorption aktiv. Quantenfluktuation minimal.«

»Was heißt minimal, Hao?«, ging Fen dazwischen.

Der Physiker sah ihn verstimmt an. »Quantenfluktuationen sind spontane Schwankungen im System. Sie können aufgrund der inhärenten Unschärfe quantenmechanischer Messungen auftreten und die Energie- und Impulszustände von Teilchen beeinflussen. Der von uns modifizierte Portalstabilitätsrechner erfasst und misst diese Fluktuationen. Jeder Wert unter 0,1 Prozent ist sehr gut, und aktuell liegen wir bei 0,0025 Prozent, Mister Tian. Was wiederum bedeutet, dass alles nach Plan verläuft, Sir.«

Fen konnte sich ein gewinnendes Schmunzeln nicht verkneifen. Der Meister würde stolz auf ihn sein, und Fen wusste, dass dies sein Verdienst war. Er drehte sich zum Masterpult um und legte seine Hände darauf. Der antike Steinzylinder, der nur wenige Zentimeter aus dem Loch herausragte, hatte sich erwärmt. Fens Hände zuckten instinktiv zurück und verharrten knapp über der glatten schwarzen Oberfläche des Pults.

Jenseits des Geländers geschah nun etwas. Von dem mächtigen Ring ging ein tiefdröhnendes Brummen aus und an seiner Innenseite begannen dünne elektrische Entladungen über den Stahl zu tanzen.

Es funktioniert!, sagte sich Fen. Es funktioniert, verdammt noch mal!

Während Dr. Hao hinter ihm unablässig den aktuellen Status der Portalaktivierung wiedergab, staunte Fen über das, was sich nur wenige Meter vor ihm tat. Innerhalb weniger Sekunden wandelte sich das schüchterne Blitzen zu einem wahren Sturm gewaltiger Entladungen, und Fen bekam zum ersten Mal eine Vorstellung davon, wie mächtig dieses Objekt und wie unkontrollierbar seine Energie sein mussten.

Im Inneren des Rings sah Fen die Rückseite des Raums, wie sie langsam zu flirren und zu verschwimmen begann. Doch es war kein Nebel, der sich dort ausbreitete, sondern ein grellblaues Plasma. Fen wusste genau, was dort vor sich ging, Hao hatte es ihm in langen nächtlichen Sitzungen ausführlich dargelegt. Er fürchtete sich deshalb vor nichts, denn alles, was geschah, passierte, weil er es so wollte.

Das Dröhnen gewann an Intensität, sodass es Fen im Magen schmerzte, und das grelle Blau wurde zu einer undurchsichtigen silbrig schimmernden Masse.

»Aktivierung komplett!«, rief Dr. Hao gegen den Lärm an.

Fen konnte seine Augen nicht von diesem fast schon heiligen Anblick nehmen. Zu ergriffen war er von seiner eigenen Schöpfung, seinem Beitrag zur Ankunft des Meisters. Hinter ihm erscholl frenetischer Applaus. Fen ließ sie gewähren, das hatten seine Leute sich nach all den Strapazen verdient.

Doch mit einem Mal veränderte sich das Dröhnen. Statt eines durchgehenden Tons ruckelte es arrhythmisch. Die silbrige Schicht im Ring flackerte kurz auf und das grelle Plasmafunkeln am Rand wurde von einem wilden Zucken erfasst. Fen trat ehrfurchtsvoll einen Schritt zurück. Gerade wollte er Hao fragen, was das bedeutete, da geschah es.

Aus der Mitte des Portals schoss eine Druckwelle, fegte über Fens Kanzel hinweg und stieß ihn gegen das Geländer. Er drehte sich um und sah, wie Hao von der Wucht der Welle erfasst und fortgeschleudert wurde. Er prallte gegen das Pult hinter sich überschlug sich und verschwand aus Fens Blick.

Auch die anderen seines Teams wurden von den Sitzen gerissen. Und als Fen glaubte, es sei vorbei, jagten blaue Blitze an ihm vorüber und trafen jeden Einzelnen. Schreiend gingen die Wissenschaftler nieder, aber auch die Wachen am Rand des Raums. Panisch wandte sich Fen dem Portal zu.

Ein plötzlich aufkommender Wind wollte ihn von den Füßen pusten, doch er hielt sich beharrlich am Geländer fest. Er musste es stoppen. Fen streckte seine Hand nach dem Schlüssel aus. Funken sprühten aus der Öffnung des Masterpults. Wenige Zentimeter noch und Fen hätte es geschafft, doch da traf auch ihn ein Blitz.

Die Mächtigkeit der elektrischen Ladung ließ ihn glauben, Bekanntschaft mit dem Zorn Gottes gemacht zu haben. Fens Knie knickten ein und das Letzte, das er sah, war, dass sich die Stabilität des Portals wieder normalisierte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

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